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Forschungsschwerpunkt: english version

Entstehung von Zelldiversität und segmentale Musterbildung im Zentralen Nervensystem

Die Aufklärung der Mechanismen, die der Entstehung und spezifischen räumlichen Verteilung der vielfältigen Zelltypen im Zentralen Nervensystem (ZNS) zu Grunde liegen, ist ein wesentliches Anliegen der Neuro-Entwicklungsbiologie. Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster ist als Modellsystem hervorragend geeignet, um die genetischen und molekularen Mechanismen der Neurogenese auf der Ebene individuell identifizierbarer Zellen zu analysieren.
Das ZNS wird gebildet von Stammzellen (Neuroblasten), die im frühen Embryo aus der neurogenen Region des Ektoderms delaminieren. Anschließend führen sie eine Serie asymmetrischer Teilungen durch und bilden spezifische Zellstammbäume. Transplantationsexperimente und in vitro Kulturen einzelner Zellen haben gezeigt, dass die Neuroblasten bereits im Neuroektoderm verschiedene Identitäten annehmen und sich weitgehend autonom entwickeln können. Positionelle Information im Neuroektoderm spielt eine entscheidende Rolle bei der Spezifizierung der Neuroblasten. Diese Information wird in erster Linie vermittelt über Produkte von Segmentierungsgenen, Hox-Genen und dorso-ventralen Musterbildungsgenen.

Die Untersuchungen der Arbeitsgruppe zielen auf eine Klärung von Mechanismen der Spezifizierung und Differenzierung neuronaler und glialer Zelltypen und der segmentalen Modifikation ihrer Zellstammbäume. Ein umfassendes Verständnis dieser Entwicklungsprozesse setzt voraus, dass das System möglichst vollständig auf der zellulären Ebene aufgeschlüsselt wird, von den individuellen Vorläuferzellen bis hin zu den differenzierten Tochterzellen. Mit dieser Analyse sind wir im embryonalen Nervensystem von Drosophila bereits weit fortgeschritten: Mittels molekularer Marker (Enhancer-trap Linien, Antikörper, in situ Hybridisierung) lässt sich zeigen, dass Neuroblasten und ihre postmitotischen Tochterzellen durch eine spezifische Kombinatorik der Genexpression individuell gekennzeichnet sind. Auf diese Weise konnten alle Neuroblasten des embryonalen ZNS (Gehirn: ca. 100 Neuroblasten pro Hemisphere; Bauchmark: ca. 440 Neuroblasten pro Körperhälfte) kartiert, charakterisiert und definierten Segmenten zuordnet werden. In entsprechender Weise wurden alle postmitotischen Gliazellen in thorakalen/abdominalen Segmenten des embryonalen Bauchmarks (ca. 30 pro Hemisegment) und des peripheren Nervensystem (12 pro Hemisegment) individuell identifiziert und ihr Wanderungsverhalten während der Embryogenese verfolgt. Die jeweiligen „Markergene“ sind gleichzeitig Kandidaten für die Kontrolle von Aspekten der Spezifizierung und/oder Differenzierung der einzelnen Zelltypen und somit Gegenstand laufender und zukünftiger Untersuchungen. Auf der morphologischen Ebene sind ferner alle Interneurone (ca. 270 pro abdominalem Hemisegment) und Motoneurone (36 pro Hemisegment) individuell charakterisiert worden. Schließlich wurden alle Zellstammbäume des Bauchmarks (Thorax, vordere Abdominalsegmente) im Drosophila-Embryo aufgeklärt und spezifischen Neuroblasten zugeordnet.

Diese detaillierte molekulare und strukturelle Charakterisierung des wildtypischen embryonalen Nervensystems ermöglicht die Interpretation der durch gezielte Manipulationen (z.B. „Loss-of-function“ und „Gain-of-function“ Mutanten; Zell-Transplantation, -Ablation und –Isolation/in vitro Kultur) induzierten Abweichungen von der Normalentwicklung auf der Ebene individueller Zellen bzw. Zellstammbäume - eine wichtige Voraussetzung für die genetische und experimentelle Analyse von Mechanismen der Nervensystem-Entwicklung.
Aufbauend auf dieser Grundlage zielen die Projekte der Arbeitsgruppe auf eine Klärung der Regulation von Zellidentitäten, Proliferation, Differenzierung und Apoptose und deren Bedeutung für die segmentale Musterbildung im ZNS.

Während die Mechanismen intra-segmentaler Spezifizierung neuraler Stammzellen (des Bauchmarks) in Drosophila relativ gut verstanden sind, ist die inter-segmentale Diversifizierung ihrer Zellstammbäume erst wenig untersucht. Ein Schwerpunkt der Projekte ist daher auf die Klärung von Mechanismen gerichtet, die zur Ausprägung segment-spezifischer Unterschiede und somit zur Regionalisierung des ZNS führen. Seriell homologe Zellstammbäume gehen aus Neuroblasten hervor, die in den verschiedenen Segmenten (13 Rumpf- und 7 Kopf-Segmente) durch eine ähnliche Position und Kombinatorik der Genexpression gekennzeichnet sind. Auf Basis der Identifizierung und Charakterisierung seriell homologer Zellstammbäume in abgeleiteten Segmenten (z.B. gnathaler und abdominaler Bereich) können Prinzipien einer (gegenüber dem thorakalen Grundzustand: T2) zunehmenden Diversifizierung segmentaler Organisationsmuster im ZNS geklärt werden. Unterschiede in der Zusammensetzung seriell homologer Zellstammbäume können auf segment-spezifische Modifikationen in der Spezifizierung, Proliferation, Differenzierung und/oder programmierten Zelltod (Apoptose) zurückzuführen sein. Da homeotische Gene (Hox-Gene) für die Determination von Segment-Identitäten verantwortlich sind, richtet sich ein Fokus der Untersuchungen auf die Rolle von Hox-Genen, interagierenden Faktoren und Zielgenen bei der Diversifizierung seriell homologer Zellstammbäume. Dabei werden neben der frühen Funktion der Hox-Gene insbesondere auch Funktionen während späterer Phasen der Entwicklung untersucht (z.B. bei der Kontrolle des programmierten Zelltods).
Fragen, denen wir nachgehen sind:
Wie wird die zell- und stadien-spezifische Expression von Hox-Genen und ihrer Isoformen kontrolliert?
Welche zell-spezifischen Funktionen übernehmen Hox-Gene im sich entwickelnden ZNS?
Worauf ist die Kontext-abhängige Wirkung der Hox-Gene in den verschiedenen Zellen zurück zu führen?
Es liegt nahe, dass die segment-spezifische Modifikation seriell homologer Zellstammbäume im Zusammenhang steht mit der Adaptation der neuronalen Netzwerke an die unterschiedlichen funktionellen Erfordernisse der jeweiligen Region des ZNS. Ein spannendes Fernziel wird daher sein, den Zusammenhang zwischen Entwicklungseinheiten (z.B. Zellstammbäumen) und Funktionseinheiten im Nervensystem aufzuklären.